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Dr. Monika Keller
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Durchführung im Betrieb
Handlungsempfehlungen "Mit Schnittstellenkonflikten umgehen"
In Organisationen, in denen agile neben nicht-agilen Bereichen arbeiten, hält die Schnittstelle dieser beiden „Welten“ ‒ der agilen und nicht-agilen ‒ besondere Herausforderungen bereit. Im Folgenden wird zum einen den Ursachen dafür auf den Grund gegangen, zum anderen werden Handlungsempfehlungen geben, wie mit auftretenden Schwierigkeiten umgegangen werden kann.
Agiles Arbeiten wurde in der Vergangenheit in vielen Betrieben häufig als „Insellösung“ in einem eng umrissenen Pilotprojekt eingeführt. Mit der Folge: Für die „Inselbewohner“ sieht die Realität häufig komplett anders als der Alltag auf dem „Festland“ aus. Zwischen Insulanern und Festlandbewohnern kommt es zu Verständigungsproblemen, die ihren Grund in unterschiedlichen Kulturen haben: Beide Welten haben ihre höchst unterschiedlichen "Eigenlogiken" und Dynamiken. Auf einer höheren Ebene sind immer wieder Ziel- und Ressourcenkonflikte zwischen beiden Welten zu erwarten. Die nachfolgenden Beispiele verdeutlichen dies:
Beispiel 1: Ein Projektbüro in einem Großunternehmen, das nach einer klassischen Projektmanagement-Logik steuert, fragt alle Unternehmensbereiche nach einer Abschätzung von Kapazitäten für das nächste Quartal. Diejenigen Bereiche, die agil arbeiten, tun sich mit dieser Abfrage schwer und melden Zahlen zurück, in denen (zu) großzügige Zeitreserven enthalten sind. Der Grund: Die vom Projektbüro praktizierte Steuerungslogik widerspricht der situativ-reaktiven Logik, nach der agile Teams planen.
Beispiel 2: Das zu managende Projektportfolio eines Betriebs enthält klassische Projekte mit relativ großen Planungszeiträumen und agile Projekte, in denen die Planung in kurzen Zyklen erfolgt. Wie lassen sich diese Projekte so zusammenbringen, dass eine übergreifende Personal- und Kapazitätssteuerung möglich wird?
Beispiel 3: In einem agilen Team kommt es immer wieder zu "Querschläger-Aufträgen“ mit Priorität, die aus der nicht-agilen Welt eingesteuert werden. Hintergrund dafür ist, dass in dem agilen Team Teammitglieder neben ihrem festgelegten Zeitanteil im agilen Team auch "Linientätigkeiten" verrichten. Die "Linienführungskräfte" geben ihren Mitarbeitenden (häufig ad hoc) zu viele "Linienaufgaben", die diese nicht in der formal zur Verfügung stehenden Zeit bewältigen können. Dadurch nehmen die Linienkräfte aus der nicht-agilen Welt den Product Ownern ihren in der agilen Welt unverzichtbaren Planungs- und Entscheidungsspielraum. Für die Scrum Master resultieren daraus unmittelbar Probleme, die sie nicht lösen können: Die beschriebene Verletzung der von ihnen entwickelten Regeln führt dazu, dass die agile Arbeitskultur nicht ernst genommen wird und die Scrum Master ihre Arbeit nicht erledigen können.
Die benannten Ziel- und Ressourcenkonflikte zwischen agilen und nicht-agilen „Welten“ können nur mit Bezug zu den übergeordneten Unternehmenszielen und der mit agilem Arbeiten verbundenen Strategie aufgelöst werden. Dies liegt in der Verantwortung der Unternehmensleitung. Es braucht dazu Spielregeln für den Umgang mit Ziel- und Ressourcenkonflikten zwischen den beiden Welten, Eskalationswege und ein professionelles Konfliktmanagement bis hin zur Schlichtung oder Klärungshilfe, und vor allem braucht es Kapazitätsressourcen, um die akuten Konflikte entschärfen zu können. Andernfalls besteht das Risiko von chronischen Konflikten und Blockaden bis hin zu dysfunktionalen Ritualen ("agiles Theater") und Tendenzen zur "Kannibalisierung" der jeweils schwächeren durch die jeweils stärkere Welt. Für die Beschäftigten hätte das zur Folge, dass sie die Anforderungen aus den beiden „Welten“ selbst ausbalancieren müssen und damit in Rollenkonflikte hineingeraten.
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Schnittstellenrelevante Standards für die nicht-agile Welt beschreiben
So lange die agile Welt für sich alleine funktioniert, scheint es nicht viele Regeln zu brauchen, weil durch die kurzen Zyklen in Verbindung mit "inspect und adapt" rasche Korrekturen möglich sind. Doch gerade diese kurzzyklische Anpassung an Unerwartetes und die rasche Korrektur von Fehlentwicklungen funktionieren nur, wenn die Spielräume für diese kurzzyklische Anpassung bei der Einführung des agilen Arbeitens bewusst geschaffen wurden und dann durch geeignete Regeln vor Eingriffen aus der nicht-agilen Welt geschützt werden. -
Kulturelle Widersprüche in einem gemeinsamen Verständigungsprozess herausarbeiten
Gerade in der nicht-agilen Welt gibt es neben den geschriebenen oft auch ungeschriebene Gesetze. Dabei handelt es sich um tiefsitzende Selbstverständlichkeiten, die meistens gar nicht erst ausgesprochen werden. Diesen kulturellen Widerspruch verdeutlicht beispielhaft ein (fiktiver) Dialog zwischen einer Linienführungskraft und dem Mitarbeitenden eines agilen Teams: „Was soll diese Vorgehensweise? In Zukunft ist der Dienstweg einzuhalten!“ – „Aber wir haben doch die Vereinbarung, dass wir als Team bei Testläufen autonom entscheiden dürfen und erst danach um Genehmigung fragen müssen.“ – „Ach stimmt ja, bei Ihnen läuft das ja anders.“Diese expliziten und impliziten Regeln an der Schnittstelle zwischen agiler und nicht-agiler Welt müssen respektiert und praktisch berücksichtigt werden. Konkret lässt sich das am besten durch das Beobachten und Untersuchen von aktuell auftretenden Schnittstellenkonflikten herausfinden.
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Gemeinsam Prinzipien und Leitplanken für die Zusammenarbeit entwickeln
Für die typischen Konfliktkonstellationen an den Schnittstellen zwischen agiler und nicht-agiler Welt werden Vereinbarungen benötigt, damit Information, Kommunikation sowie die Zusammenarbeit reibungslos funktionieren. Diese werden im Idealfall gemeinsam entwickelt und orientieren sich an folgenden Leitfragen:- Welche Prinzipien und Leitplanken ziehen wir für unsere Zusammenarbeit heran?
- Welche Ziel-, Ressourcen- und Interessenkonflikte sehen wir an unserer Schnittstelle?
- Welche Regeln und Standards sollen dabei zur Anwendung kommen?
- Wie wollen wir sicherstellen, dass Schnittstellenkonflikte frühzeitig erkannt und zeitnah bearbeitet bzw. aufgelöst werden?
- Was soll passieren, wenn wir uns dabei nicht einig werden?
Damit eine möglichst hohe Akzeptanz der Prinzipien und Leitplanken entsteht, sollten diese von den Beschäftigten aus den agil und nicht-agil arbeitenden Bereichen selbst entwickelt werden. Weil diese Entwicklung oftmals in einem einmaligen Workshop nicht zufriedenstellend und abschließend erledigt werden kann, empfiehlt sich ein Vorgehen, das den WaVe-Ansatz (Wandel durch Vernetzung; Petersen & Witschi, 2015) auf das Entwickeln von Standards für agiles Arbeiten bezieht (Kötter & Roth, in press). Im Kern geht es darum, dass vom Management ein Auftrag zum Erarbeiten von Prinzipien und Leitplanken an funktions- und hierarchieübergreifende Teams formuliert wird. Dabei werden Vorgaben gemacht, in welchem Rahmen das geschehen soll. Der Auftrag des Managements gibt dabei klar vor, zu welchen Regelungsbedarfen diese Prinzipien erarbeitet werden sollen. Beispielsweise sind für die reibungsfreie Arbeit an den Schnittstellen folgende Fragen zu klären:
- Wie stellen wir den Austausch zwischen agilen und nicht-agilen Teams sicher?
- Wie sorgen wir dafür, dass die Anliegen der jeweils anderen „Welt“ auf Verständnis treffen?
- Wer entscheidet im Konfliktfall darüber, welches Anliegen ‒ das aus der agilen oder das aus der nicht-agilen Welt ‒ priorisiert wird?
- Welche Einschränkungen in der Selbstorganisation der agilen Teams gegenüber der nicht-agilen Umwelt braucht es womöglich?
Dabei sind die Teams möglichst frei in der Wahl ihrer Kooperations- und Gestaltungsmöglichkeiten. Die Teams organisieren sich als Netzwerk, das sich zu vorgegebenen Zeitpunkten miteinander über ihren Entwicklungsstand austauscht und somit größtmögliche Transparenz herstellt.